Am 18.11.2025 findet auf dem EUREF-Campus in Berlin ein wegweisendes Treffen statt, das die digitale Zukunft Europas maßgeblich prägen könnte. Der erste europäische Gipfel zur digitalen Souveränität bringt politische Entscheidungsträger, Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammen. Die deutsch-französische Initiative reagiert auf die zunehmende Abhängigkeit des Kontinents von außereuropäischen Technologiekonzernen und will konkrete Schritte zur Stärkung der digitalen Unabhängigkeit Europas einleiten.

ZENTRALE Überblick

  • 18. November 2025: Erster europäischer Gipfel zur digitalen Souveränität in Berlin, deutsch-französische Initiative für alle EU-Staaten
  • Drei Dimensionen: Privatsphäre und Datenschutz, Cybersicherheit, strategische Unabhängigkeit von US- und China-Tech
  • Konkrete Projekte: openDesk und La Suite Numérique als Open-Source-Alternativen für europäische Verwaltungen

Politischer Impuls für ein souveränes Europa

Bundesdigitalminister Dr. Karsten Wildberger kündigte den Gipfel im Rahmen des deutsch-französischen Ministerrats in Toulon an. Gemeinsam mit der französischen Digitalministerin Clara Chappaz und weiteren hochrangigen europäischen Politikern will er ein starkes Signal für die digitale Unabhängigkeit Europas setzen. Die Veranstaltung ist ausschließlich auf persönliche Einladung zugänglich und unterstreicht damit den strategischen Charakter des Treffens.

Wildberger betonte die zentrale Bedeutung des Gipfels:

Digitale Souveränität ist ein zentraler Pfeiler für die wirtschaftliche Stärke und strategische Unabhängigkeit Europas.

Der Gipfel sei eine Einladung an alle EU-Mitgliedstaaten, gemeinsam konkrete Schritte zu gehen. Die Initiative ist Teil der von Bundeskanzler Friedrich Merz und dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron beschlossenen Deutsch-Französischen Wirtschaftsagenda und unterstreicht die zentrale Rolle der deutsch-französischen Zusammenarbeit für Europas digitale Zukunft.

Was bedeutet digitale Souveränität?

Digitale Souveränität bezeichnet die Möglichkeiten zur selbstbestimmten Nutzung und Gestaltung von Informationstechnik durch Gesellschaften, Staaten, Unternehmen und Individuen. Das Konzept umfasst sowohl die digitale Kompetenz als Sachkenntnis als auch die Kompetenz im Sinne von Befugnis, Tätigkeiten eigenständig ausüben zu dürfen. Es geht um Freiheit und Selbstbestimmung in der digitalen Welt vom Staat bis zum Einzelnen.

Drei Dimensionen digitaler Souveränität

Analysen zeigen, dass digitale Souveränität drei gemeinsame Dimensionen umfasst. Die erste Dimension ist Privatsphäre: die Fähigkeit des Einzelnen, sein digitales Leben und seine Daten zu kontrollieren. Die zweite Dimension ist Cybersicherheit: der Schutz kritischer Infrastrukturen und Systeme vor Angriffen und Spionage. Die dritte Dimension ist Strategie: die kollektive Fähigkeit von Staaten und der EU, im digitalen Zeitalter Kontrolle und Führung zu erlangen und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit sowie technologische Unabhängigkeit zu fördern.

Digitale Souveränität bedeutet nicht Protektionismus oder Autarkie. Vielmehr geht es darum, souverän zu entscheiden, in welchen Bereichen Europa unabhängig sein will und wo dafür investiert werden muss. Es geht um die Fähigkeit, eigene Produkte zu entwickeln oder bewusst zu entscheiden, diese von anderen zu nutzen, ohne dabei in kritische Abhängigkeiten zu geraten.

Europas digitale Verwundbarkeit

Die aktuelle Situation Europas im digitalen Raum ist von erheblichen Abhängigkeiten geprägt. 88 Prozent der gesamten Nutzungszeit bei Suchmaschinen entfällt in Deutschland auf Google, bei Gratis-Video-on-Demand erzielt YouTube 78 Prozent der gesamten Nutzungszeit, bei Social Media bekommen Facebook und Instagram zusammen 85 Prozent. Diese monopolartige Konzentration auf dem Feld politisch relevanter Mediengattungen führt zu einem Verlust an digitaler Souveränität.

Die Dominanz von US-amerikanischen und chinesischen Digitalkonzernen wurde durch Privilegien und rechtliche Vorzugsbehandlungen erst ermöglicht. Aktuell liegt der Anteil der öffentlichen Aufmerksamkeit in digitalen Medien bei etwa 60 Prozent, bis 2029 wird dieser Wert auf etwa drei Viertel ansteigen. Infolge des Voranschreitens der digitalen Transformation ist davon auszugehen, dass US-Monopolisten in den kommenden Jahren den Großteil des Mediensystems in Europa übernehmen und kontrollieren werden.

Die COVID-19-Pandemie hat nicht nur gezeigt, wie wichtig die IKT-Infrastruktur ist, sondern auch das Bewusstsein dafür geschärft, von ausländischen Anbietern kritischer Dienstleistungen und Produkte abhängig zu sein. Rechtswissenschaftlerin Christiane Wendehorst warnt:

Je mehr die sogenannte digitale Transformation fortschreitet, desto abhängiger und verwundbarer werden wir. Sonst leben unsere Kinder und Enkel bald nur noch in einer digitalen Kolonie.

Schwerpunkte des Gipfels

Der EU Summit konzentriert sich auf mehrere zentrale Themenfelder. Ein wichtiger Punkt ist der Abbau regulatorischer Hürden im Digitalbereich auf EU-Ebene. Deutschland und Frankreich wollen gemeinsame Vorschläge präsentieren, wie bürokratische Hindernisse beseitigt werden können, ohne dabei die hohen europäischen Standards bei Datenschutz und Sicherheit aufzugeben.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die European Digital Identity Wallet, eine persönliche digitale Geldbörse auf dem Smartphone. Erste Implementierungen dieser digitalen Identitätslösung sollen auf dem Gipfel vorgestellt werden. Die Wallet soll es allen Europäern ermöglichen, eine sichere digitale Identität zu haben, die persönliche Daten schützt und in allen Mitgliedstaaten funktioniert.

Künstliche Intelligenz steht ebenfalls im Fokus des Gipfels. Europa versucht, zwischen der KI-Dominanz der USA und Chinas eine eigenständige Position zu finden, die europäische Werte wie Transparenz, Grundrechtsschutz und demokratische Kontrolle in den Mittelpunkt stellt. Auch Themen wie Startups, Cloud-Infrastrukturen und Datenfragen werden diskutiert.

Open-Source als strategischer Baustein

Eine zentrale Rolle auf dem Gipfel spielen die Open-Source-Arbeitsplatzlösungen für die öffentliche Verwaltung. Deutschland präsentiert openDesk, eine umfassende Büro- und Kollaborationssuite, die vom Zentrum Digitale Souveränität (ZenDiS) entwickelt wird. Frankreich stellt La Suite Numérique vor, entwickelt von der französischen Interministeriellen Direktion für Digitales (DINUM).

Die Zusammenarbeit zwischen ZenDiS und DINUM ist exemplarisch für europäische Kooperation. Beide Organisationen arbeiten seit 2024 gemeinsam an der Weiterentwicklung ihrer Lösungen. Ein Beispiel ist die französische Anwendung Docs, die als Notes in openDesk integriert wurde. Statt parallele Entwicklungen voranzutreiben, bündeln die Partner ihre Ressourcen und schaffen gemeinsame Lösungen.

OpenDesk wuchs aus der Initiative Souveräner Arbeitsplatz des Bundesministeriums des Innern hervor. Das Ziel ist es, bis Ende 2025 160.000 Lizenzen in der deutschen öffentlichen Verwaltung zu erreichen. Die Lösung wird bereits von wichtigen Institutionen wie dem Robert Koch Institut genutzt. OpenDesk basiert zu 100 Prozent auf Open-Source-Software, der Quellcode ist auf der Plattform Open CoDE öffentlich zugänglich.

Die Vorteile von Open-Source-Lösungen liegen auf der Hand: Sie ermöglichen es öffentlichen Organisationen, ihre digitalen Technologien eigenständig und unabhängig zu nutzen. Es gibt keine Vendor Lock-in-Effekte, die Abhängigkeit von einzelnen Anbietern wird vermieden. Gleichzeitig gewährleisten offene Standards die Interoperabilität zwischen verschiedenen Systemen und schützen vor einseitigen Abhängigkeiten.

Europäische Initiativen für digitale Souveränität

Neben den konkreten Lösungen auf Verwaltungsebene verfolgt Europa mehrere strategische Initiativen.

Gaia-X und Sovereign Cloud Stack

Gaia-X ist ein europäisches Projekt zur Schaffung einer vernetzten Dateninfrastruktur auf Basis von Open-Source-Anwendungen und offenen Standards. Die 22 Gründungsmitglieder haben 2020 die Non-Profit-Organisation Gaia-X AISBL gegründet. Ziel ist es, Institutionen und Privatpersonen zu ermöglichen, sensible Informationen auszutauschen, ohne dabei auf amerikanische oder chinesische Anbieter angewiesen zu sein.

Der Sovereign Cloud Stack (SCS) ist eine föderierte Cloud-Infrastruktur, die mehrere Systeme zusammenbringt, die dennoch selbständig bleiben und technologisch unabhängig sind. Unternehmen können verteilte Cloud-Dienste über verschiedene SCS-Betreiber hinweg nutzen. Vom komplett autarken Betrieb bis zum Full-Service-Management bei einem europäischen Anbieter haben Unternehmen damit die Wahl.

Regulierungsinstrumente DSA und DMA

Der Digital Services Act (DSA) und der Digital Markets Act (DMA) sind zentrale Regulierungsinstrumente der EU. Der DSA verpflichtet die größten Plattformen zu mehr Verantwortung beim Entfernen illegaler Inhalte wie Hassrede und Desinformation und zur Bekämpfung von Risiken für Kinder und Wahlen. Der DMA ermöglicht es Unternehmen, digitale Gatekeeper herauszufordern, indem faire, offene und wettbewerbsfähige digitale Märkte gewährleistet werden.

Path to the Digital Decade

Die EU hat mit dem Path to the Digital Decade ein umfassendes Politikprogramm für die digitale Transformation verabschiedet. Es setzt spezifische digitale Ziele und Meilensteine bis 2030. Das Programm stellt digitale Kompetenzen und Bildung in den Vordergrund und ist in vier Bereiche strukturiert: Fähigkeiten, Wirtschaft, Regierung und Infrastruktur.

Infrastrukturziele bis 2030

Zu den konkreten Zielen bis 2030 gehören: Gigabit-Konnektivität für alle wichtigen sozioökonomischen Treiber, ununterbrochene 5G-Abdeckung für alle städtischen Gebiete und wichtigen terrestrischen Transportwege sowie Zugang zu Konnektivität mit mindestens 100 Mbps für alle europäischen Haushalte. Die EU investiert Milliarden in den Ausbau von Glasfaser und 5G, verbindet ländliche Regionen und stattet Hunderttausende Arbeitskräfte mit Kompetenzen für die digitale Zukunft aus.

Hochleistungsrechnen und Zukunftstechnologien

Im Bereich Hochleistungsrechnen und Quanteninformatik will Europa führend werden. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat angekündigt, dass Supercomputer eine Schlüsselrolle einnehmen sollen, um die digitale Souveränität Europas zu stärken. Davon sollen insbesondere die Bereiche Massendatenanalyse, künstliche Intelligenz, Cloud-Technik und Cybersicherheit profitieren. Insgesamt sind Investitionen in Höhe von acht Milliarden Euro vorgesehen.

Transatlantische Zusammenarbeit

Trotz des Strebens nach digitaler Souveränität bleibt die Zusammenarbeit mit den USA wichtig. Die starken wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen der EU und den USA erfordern eine enge Kooperation, wollen beide Partner auch im globalen digitalen Wettbewerb bestehen. Auf Initiative der EU wurde 2021 der Handels- und Technologierat (Trade and Technology Council, TTC) gegründet. Er soll dabei helfen, unterschiedliche Vorstellungen darüber zu überwinden, wie der digitale Markt und die Plattformökonomie am besten zu regulieren sind.

Europäische Entscheidungsträger sind gut beraten, weiterhin eine digitale Außenpolitik der EU voranzutreiben, die sich im Kern aus dem Ziel digitale Souveränität ableitet und die anstrebt, mithilfe des TTC europäische Regulierungen qua Marktmacht zu externalisieren. Digitale Souveränität ist heute als politischer Mehrebenen-Prozess zu verstehen. Ein enges territoriales und juristisches Verständnis von Souveränität greift zu kurz.

Herausforderungen und Chancen

Der Weg zur digitalen Souveränität ist mit Herausforderungen verbunden. Europa steht vor dem Dilemma, entweder eigene Produkte herzustellen oder auf Dienstleistungen anderer zu vertrauen. Man sieht dies besonders gut an der aktuellen Debatte um 5G-Netze in Deutschland und Europa. Auch wenn Anbieter wie Huawei im internationalen Vergleich gut abschneiden, fürchten sich Länder vor Spionage und Attacken auf kritische Infrastrukturen.

Gleichzeitig bietet die digitale Transformation enorme Chancen. Schätzungen des Europäischen Parlaments zufolge werden Maßnahmen wie die Regulierung des elektronischen Geschäftsverkehrs und eine verbesserte Verfügbarkeit von Breitband- und 5G-Netzen jährliche Zusatzeinnahmen in Höhe von 176,6 Milliarden Euro generieren, wenn alle Maßnahmen der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt vollständig umgesetzt sind. Diese Summe könnte sich in die Billionen erstrecken, wenn sich Europa weiterhin im Einklang mit den Entwicklungen in den Bereichen künstliche Intelligenz, Hochleistungsrechnen und Blockchain-Technologie digitalisiert.

Expertinnen und Experten betonen, dass digitale Souveränität nicht nur durch die erfolgreiche Durchsetzung eigener, unabhängiger digitaler Angebote erreicht werden kann. Die Öffnung der digitalen Märkte für Wettbewerb ist die Grundbedingung für die erfolgreiche Implementierung alternativer Angebote. Demokratiepolitisch ist dies notwendig, weil die meisten digitalen Märkte den Status öffentlicher Güter besitzen. Sie gewähren den Menschen in der Zukunft den Zugang zu Medien, zu Märkten und zu Infrastrukturen.

Ausblick auf den Gipfel

Der EU Summit zur Europäischen Digitalen Souveränität am 18. November 2025 wird zu einem zentralen Forum für den Austausch darüber, wie Innovationen und digitale Fähigkeiten den Wohlstand und die Zukunft Europas sichern können. Die europäischen Partner wollen die digitale Transformation auf dem Kontinent aktiv gestalten, statt sie passiv zu erleiden.

Mit konkreten Projekten wie openDesk und La Suite Numérique, strategischen Initiativen wie Gaia-X und dem Sovereign Cloud Stack sowie regulatorischen Instrumenten wie DSA und DMA verfügt Europa über ein breites Instrumentarium. Die deutsch-französische Kooperation dient dabei als Motor und Vorbild. Interesse aus anderen Ländern wie den Niederlanden und der Schweiz zeigt, dass Europa auf dem richtigen Weg ist.

Der Gipfel sendet ein klares Signal: Europa nimmt seine digitale Zukunft selbst in die Hand. Es geht nicht um Abschottung, sondern um die Fähigkeit, souveräne Entscheidungen zu treffen. Es geht darum, europäische Werte wie Grundrechtsschutz, Transparenz und Demokratie auch im digitalen Zeitalter zu verteidigen. Und es geht darum, die wirtschaftliche Stärke und strategische Unabhängigkeit Europas für die kommenden Generationen zu sichern.

Wie beurteilt die ZENTRALE Community die Entwicklungen zur digitalen Souveränität in Europa? Welche Chancen und Risiken seht ihr in den vorgestellten Initiativen? Teilt eure Perspektiven und Erfahrungen mit uns!
Bereit, jetzt gerne teilen!